Staub von den Sternen
Staub von den Sternen
ISBN: 978-3-94227-734-1
11,90 €Kein Ausweis von Umsatzsteuer, da Kleinunternehmer gemäß § 19 UStG
In den WarenkorbSilvia hätte im Nachhinein nicht sagen können, was sie erwartet hatte. Insgeheim war sie wohl davon ausgegangen, dass Robin umgehend zur Sache kommen würde. Aber sie hätte ihn besser kennen sollen. Sie war zu ihm gekommen, und der Grund dafür war ihnen beiden klar. Folglich hatte er Zeit und konnte warten, bis sie von allein aus der Reserve kam.
Nach einem oberflächlichen Kuss hatte er sie in die Küche geführt, wo er den Tisch gedeckt, etwas zu essen vorbereitet und eine Flasche Champagner kalt gestellt hatte. Sie saßen sich gegenüber, aßen und plauderten über harmlose Themen: Silvias neuen Job, ein paar ihrer früheren Kollegen und Kolleginnen, neue Produkte der Firma Huth. Es war ein Gespräch wie unter Freunden, und Silvia entspannte sich zusehends. Dann, als sie ihr Glas geleert hatte, beugte er sich nach vorne zu ihr und erkundigte sich: „So, und was machen wir jetzt?“
Sie hielt ihm die Sektflöte entgegen. „Zuerst hätte ich gern noch einen Schluck Champagner, um mir Mut anzutrinken.“
Skeptisch zog er die Augenbrauen hoch. „Mut antrinken? Mit einer halben Flasche Champagner? Der wird nicht weit reichen.“
„Warum?“, fragte sie zurück. „Gibt’s nur die eine Flasche?“
Er lachte und streckte eine Hand nach ihr aus. „Stell dein Glas hin und komm her zu mir.“ Sie zögerte, und er versicherte lachend: „Komm, du kriegst deinen Schluck Champagner.“
Sie stand auf, ging um den Tisch herum zu seiner Seite, und er zog sie auf seinen Schoß. Einen Arm legte er um ihre Taille, mit der freien Hand hob er sein halbvolles Glas an seine Lippen, nahm einen Schluck daraus, küsste sie und ließ dabei die prickelnde Flüssigkeit aus seinem in ihren Mund laufen. Sie schloss die Augen, schluckte, leckte sich die Lippen.
„Mehr“, verlangte sie, ohne die Augen wieder zu öffnen und meinte das durchaus so zweideutig, wie es klang.
Er wiederholte die Prozedur, aber diesmal begannen seine Hände von ihrer Hüfte aus aufwärts über ihre Bluse zu wandern. Sie revanchierte sich, indem sie ihm kurzerhand sein Polohemd aus der Hose und über den Kopf zog. Bei dieser zweiten Begegnung machte der Skorpion auf seiner Brust längst nicht mehr so einen bedrohlichen Eindruck auf sie. Er wirkte eher wie ein alter Bekannter.
Robin schob ihren Rock bis zur Taille hoch, seine Hände streichelten ihren Po und dann die weichen Innenseiten ihrer Oberschenkel.
„Das hab ich schon auf der Fete machen wollen“, murmelte er. „Dein Hintern ist viel zu schade, um ihn zu verdecken.“
Sie lachte leise. „Ich kann schlecht mit nacktem Po durch die Gegend laufen.“
„Stimmt“, gab er zu. „Leider.“ Und dann, ohne weiteren Übergang: „Lass uns ins Schlafzimmer gehen.“
Sie streifte die große Arbeitsplatte neben dem Herd mit einem gedankenverlorenen Blick.
„Kennst du den Film ‚Wenn der Postmann zweimal klingelt’?“
„Klar. Mit Jack Nicholson und Jessica Lange. Aber was … ?“ Er unterbrach sich, als er ihrem Blick folgte und begriff, was sie meinte. „Aber Silvia“, meinte er überrascht und gespielt vorwurfsvoll. „Das hätte ich dir nicht zugetraut.“
Sie standen auf, und er fegte mit zwei Handbewegungen alles auf den Fußboden, was ihnen dort im Weg stand.
„Vielleicht hast du mich unterschätzt“, meinte sie, während er sie hochhob und mit dem nackten Po auf die Arbeitsplatte setzte. „Und jetzt“, fuhr sie fort, indem sie seinen Gürtel löste, „jetzt zieh das hier endlich aus.“
Sein Vater lag nicht mehr auf der Intensivstation, als Robin am Nachmittag im Krankenhaus eintraf. Vielmehr erwartete er ihn in seinem Krankenzimmer, wo er auf einem Stuhl an einem Tischchen saß und Zeitung las. Allein die ungewohnte Umgebung und die Tatsache, dass er Schlafanzug und Bademantel statt seines sonst üblichen Anzugs mit weißem Hemd trug, waren deutliche Hinweise darauf, dass etwas nicht in Ordnung war.
„Hallo, Vater, da bin ich“, begrüßte Robin ihn und blieb hinter der Tür stehen, nachdem er den Raum betreten hatte. Er mochte Krankenhäuser nicht und fühlte sich unsicher in dieser ungewohnten Umgebung.
„Hallo, Robin. Gut, dass du da bist. Komm, setz dich zu mir“, antwortete sein Vater. Dann kam er ohne Umwege auf den Grund zu sprechen, warum er im Krankenhaus und Robin angerufen worden war. „Es war kein Schlaganfall, nur eine vorübergehende Durchblutungsstörung im Gehirn. Sah zunächst dramatischer aus, als es in Wirklichkeit war. Sie wollen mich noch ein paar Tage zur Beobachtung hier behalten, aber ich werde so bald wie möglich wieder nach Hause fahren.“
„Freut mich zu hören“, begann Robin, aber sein Vater hob die Hand und bedeutete ihm so, still zu sein.
„Dennoch muss ich mich wohl damit abfinden, dass auch mein Leben zeitlich begrenzt ist und somit irgendwann zu Ende sein wird. Vielleicht schon eher als ich bisher angenommen hatte.“
Robin wollte protestieren, aber wieder brachte der alte Herr Huth ihn mit einer Geste zum Schweigen.
„Es wird Zeit, darüber zu sprechen, wann ich die Firmenleitung abgeben will“, erklärte er mit einer Ruhe, als sei das die alltäglichste Sache der Welt. Robins Herz machte einen Freudensprung. Er stand seit Jahren in den Startlöchern, aber bislang war sein Vater nicht bereit gewesen, diesem Thema auch nur einen Gedanken zu widmen. Die heutige Unterredung schien sich enorm positiv zu entwickeln.
„Das heute war ein Warnschuss, der mir klar gemacht hat, dass ich spätestens jetzt damit anfangen sollte, die Pläne zu verwirklichen, die ich noch habe. Dabei spreche ich von Dingen privater Natur wir zum Beispiel eine Reise nach Feuerland, Bilder malen, vielleicht ein Buch schreiben und solche Dinge.“ Herr Huth lächelte vor sich hin und machte eine Pause. Robin wartete ungeduldig bis er endlich fortfuhr. „Das kann ich natürlich nur, wenn ich die Verantwortung für die Firma in jüngere Hände lege. Und ich weiß, dass du darauf gewartet hast, dass dir die Firma beinahe ebenso am Herzen liegt wie mir und dass du bereits Zukunftspläne für ihren Fortbestand und ihre Erweiterung hast.“ Wieder machte er eine Pause und schien zu überlegen. Robin wagte kaum zu atmen, aus Angst, seinen Vater abzulenken. Doch der schaute ihm fest in die Augen und erklärte: „In fachlicher Hinsicht würde ich dir die Leitung jederzeit zutrauen. Du bist mir seit Jahren ein guter Vize und während meiner Abwesenheiten hast du die Geschäfte immer mit Umsicht und Klugheit weitergeführt.“ Noch ein Moment des Schweigens, dann das Bekenntnis: „Die Firma hat für mich immer eine überragend wichtige Rolle gespielt. Sie war der Ersatz für eine Familie. Ich habe nicht nur Zeit, Arbeit und Geld dort investiert, sondern auch Leidenschaft und“, er zögerte, ehe er das Wort aussprach, „Liebe. Und ehrlich gesagt, ist das der Punkt, wo ich dir nicht traue. Ich habe Zweifel an deinen menschlichen Führungsqualitäten. Du bist im Umgang mit den Mitarbeitern genauso knallhart wie im Privatleben. Doch wir haben auch der Belegschaft gegenüber unsere Verpflichtungen. Man kann mit ihnen nicht umgehen wie mit den Zahlen auf dem Papier.“
„Weiß ich“, murmelte Robin. Diese Predigten hatte er so oft gehört, dass er sie in- und auswendig kannte. Gefühle von Zuneigung und freundschaftlicher Verbundenheit, Mitgefühl, Fürsorge, kurz: die Gefühle, die der Alte zu Hause stets hatte vermissen lassen, für seine Firma und die Belegschaft brachte er sie auf. Das war unbestritten, aber worauf wollte er hinaus?
„Auch wenn du das theoretisch weißt, hapert es mit der praktischen Umsetzung. Dennoch sehe ich das nicht als größeres Problem an, denn das wirst du noch einsehen und Personalentscheidungen, die mehr als nur Einzelpersonen betreffen, sind von der Zustimmung des Vorstandes abhängig.“
„Das ist mir klar, und ich versichere dir … “
„Ich bin noch nicht fertig. Hör mich zu Ende an. Ich bin überzeugt davon, dass du die Firma mit viel Ehrgeiz und Engagement leiten wirst genau wie ich das immer getan habe. Und was dir momentan noch an Verständnis für die Belange der Firmenangehörigen fehlt, wirst du lernen. Darüber mache ich mir keine Sorgen. Nein, das Einzige, was mich davon abhält zurückzutreten und dir die Leitung zu übertragen, ist die Tatsache, dass du keine Kinder hast.“
„Was?“ Fassungslos starrte Robin seinen Vater an. Das konnte nur ein schlechter Witz sein. Aber nichts im Gesicht des Mannes auf der anderen Seite des Tisches ließ darauf schließen, dass er scherzte. Stattdessen erklärte er:
„Du weißt, diese Firma wird immer vom Vater auf den Sohn weitervererbt, seit vier Generationen. Was du bisher noch nicht kanntest, ist die Festlegung des Firmengründers, dass nur solche Erben in Frage kommen, die selber Kinder haben. Damit sichergestellt ist, dass die Firma auch weiterhin in der Hand der Familie bleibt.“
„Das könntest du doch sicher außer Kraft setzen, wenn du wolltest. Schließlich ist das eine Bedingung von Anno dazumal.“
„Stimmt. Ich könnte diese Bedingung abschaffen, wenn ich wollte. Doch nach reiflicher Überlegung bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es eine weise und vorausschauende Regelung ist.“
„Aber ich habe keine Kinder, und ich habe nicht vor … “
„Das musst du ändern, wenn du die Firma übernehmen willst.“
Das konnte einfach nicht wahr sein! Robin blickte in die Augen seines Vaters, in der Hoffnung, das Ganze sei nicht ernst gemeint. Aber er sah nur die bekannte Unnachgiebigkeit und ein wenig – Mitleid. Einen Moment lang überlegte er, wie er das zu deuten hatte, aber dann begriff er:
„Bei dir war’s genauso, stimmt’s? Du hast geheiratet und mich in die Welt gesetzt, weil du musstest. Deswegen hast du so gelassen reagiert, als Mutter uns verlassen hat. Ich habe mich immer gefragt, warum du nicht versucht hast, sie aufzuhalten. Dabei hat es dich wahrscheinlich nicht mal interessiert, dass sie weg war, weil sie mich dagelassen hat.“
„Ich habe sie nur aus dem einen Grund geheiratet, das ist richtig. Und damals habe ich gedacht, dass ich diese blödsinnige Bestimmung abschaffen würde, wenn es eines Tages so weit wäre, dass ich die Firma an dich weitergeben würde.“ Der alte Herr Huth lächelte bei der Erinnerung vor sich hin, dann fuhr er fort: „Heute sehe ich das anders: Hätte mich das Testament nicht gezwungen, deine Mutter zu heiraten und für Nachwuchs zu sorgen, dann hätte ich heute niemanden, dem ich die Firma weitervererben könnte. Und du bist mir leider sehr ähnlich. Wenn ich dich nicht dazu bewege, eine Familie zu gründen, wirst du es nicht tun. Und an wen willst du den Laden dann eines Tages weitergeben?“
„Darüber mache ich mir Gedanken, wenn es soweit ist.“
„Nein, Robin, darüber musst du dir schon vorher Gedanken machen. Sehr viel früher. Fang am besten gleich damit an.“
„Nur weil du selbst gelitten hast, soll es mir nicht besser gehen“, stieß Robin finster hervor. „Das ist doch der wahre Grund.“
„Jetzt mach aber mal `n Punkt! Was heißt hier ‚gelitten’? Du kannst dir deine Frau doch aussuchen und bekommst sie nicht vorgeschrieben. Es soll ja, wie mir zu Ohren gekommen ist, durchaus einige nette und gutaussehende Exemplare in deinem Dunstkreis geben. Du brauchst nur deine Wahl zu treffen. Sicher hast du mehr Glück als ich und gerätst nicht ausgerechnet an eine, die depressiv ist wie deine Mutter.“
Robin starrte vor sich hin.
„Und wenn ich mich weigere?“
Sein Vater seufzte.
„Dann erbt dein Cousin den Laden.“
„Paul?“, fuhr Robin auf.
„Ja, Paul. Er hat Kinder, sogar drei.“
„Aber der kann nicht einmal alleine einen Brief schreiben, geschweige denn eine Firma leiten. Außerdem hat er keine Ahnung von …“
„Du könntest wahrscheinlich Geschäftsführer bleiben, aber gehören würde die Firma ihm. Wenn du dich damit abfinden kannst.“ Der Alte zuckte mit den Schultern.
Robin holte tief Luft. Er kannte seinen Vater zu gut, als dass er sich Illusionen hingegeben hätte: Nie im Leben würde er sich umstimmen lassen. Er würde durchsetzen, was er für richtig hielt, unbeirrbar und unzugänglich für Argumente. Und auf Zeit zu spielen, würde nichts bringen: Das Testament war mit Sicherheit geschrieben und beim Notar hinterlegt. Und wenn der Alte sterben würde, bevor Robin Kinder hatte, würde die Firma an einen Mann vererbt, der nie auch nur den kleinen Finger dafür gerührt hatte und der Aufgabe, die dann auf ihn zu käme, in keinster Weise gewachsen war. Und er, Robin, der rechtmäßige Erbe, würde das Nachsehen haben. Das konnte, das durfte nicht passieren. Nein, auch wenn sich alles in ihm dagegen sträubte, dämmerte ihm, worauf das Ganze hinaus lief. Er würde sich fügen müssen, das Spiel nach den Regeln spielen, die sein Vater aufstellte, oder auf die Firma verzichten müssen.
Verzichten? Er, Robin? Niemals!
„Mit anderen Worten: Du erwartest von mir, dass ich demnächst heirate?“, fragte er zögernd.
Jetzt lächelte sein Vater wieder.
„Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Aber“, fügte er hinzu und wurde wieder ernst, „das allein genügt nicht. Bei der Geburt deines ersten Kindes überlasse ich dir den Firmenvorsitz. Vorher werde ich meinen Platz nicht räumen. Jedenfalls nicht freiwillig.“